Sonntag, 23. Dezember 2007

Die Regie im Gehirn - Wo wir Pläne schmieden und Entscheidungen treffen


Elkhonon Goldberg
Die Regie im Gehirn
Wo wir Pläne schmieden und Entscheidungen treffen
ISBN 978-3-935767-04-0, 1. Aufl. 2002, 341 Seiten, 22 €
Verlagsinformationen zum Buch

Aus dem Vorwort von Oliver Sacks im Buch:
"Wie Lurija hat auch er eine Mischung aus maßgeschneiderten, ausgeklügelten Tests mit einer sorgfältigen naturalistischen Beobachtungsgabe verbunden, wobei er die Verrücktheiten der Frontallappen immer scharf im Blick behielt, und das nicht nur in der Klinik, sondern auch auf der Straße, in Restaurants, im Theater, einfach überall. (Goldberg bezeichnet sich in diesem Zusammenhalg als "kognitiver Voyeur".) Eine außergewöhnliche Phantasie und Einfühlungsgabe durchdringt alles, wenn er versucht , die Welt mit den Augen seiner Patienten zu sehen. Nach dreißig Jahren der Beobachtung und Erfahrung hat er einen Grad an Einsicht erlangt, der, so sollte man meinen, seinen Mentor Lurija entzückt und überrascht hätte."


Goldberg beleuchtet in seinem Buch die vielfältigen Aufgaben der Frontallappen:
  • - hochgradig zielgerichtetes Verhalten
  • - Identifizierung des Ziels oder Anstrebung des Ziels
  • - Organisieren der Mittel, mit denen die Pläne in die Tat umgesetzt werden
  • - Einschätzung und Abwägung der Konsequenzen unseres Handelns

sowie Besonderheiten neurologischer Störungen und deren Zuordnung zu Fehlfunktionen im Frontallappen:
  • - Antriebslosigkeit von Parkinson-Patienten
  • - Impulsivität von Tourette-Patienten
  • - leichte Ablenkbarkeit bei ADHD
  • - Drang zu ständigen Wiederholungen bei Zwangsneurosen
  • - Mangel an Empathie bei Autisten oder chronischer Schizophrenie
Goldberg schildert komplexe Sachverhalte verständlich, nachvollziehbar,lebendig, mit Humor und vermischt mit persönlichen Erfahrungen. Der Leser erfährt seine persönliche wissenschaftliche Entwicklungsgeschichte, welche das Buch richtig spannend werden lässt, weil man quasi selbst in die Rolle des neugierigen Forschers Goldberg "schlüpft".

Die von vielen Neurowissenschaftlern angenommene modulare Struktur des Gehirns stellt Goldberg in Frage. Aufgrund seiner zwanzigjährigen Entwicklungs- und Testphasen, dem Sammeln von umfangreichem Beweismaterial belegt Goldberg, dass die Annahme eines modularen Aufbaus der Gehirnstruktur nicht zutrifft. Er sieht die Struktur des Gehirns als "kognitives Kontinuum" , einen Gradienten:

"Eine sorgfältige Analyse der Folgen einer Schädigung des Neokortex lässt darauf schließen, dass hier nicht mehr einzelne, isolierte Module oder Regionen bestehen, sondern dass sich ein allmählicher Übergang von einer kognitvien Funktion zur nächsten vollzieht, der einer graduellen, ununterbrochenen Bahn entlang des Kortex entspricht." (Zitat Vorwort Oliver Sacks, S. 15)

FAZIT:
Goldberg besticht durch seine Gabe, Wissenschaft unterhaltsam und immer auch kritisch hinterfragend präsentieren zu können. Die biografischen Elemente sorgen für sehr viel Lebendigkeit und wecken auch beim Leser den Forscherdrang und die Neugierde. Das Buch interessiert kognitive Neurowissenschaftler, Neuropsyologen,an den Neurowissenschaften interessierte Laien, Lehrer, und Psychiater / Neurologen, sowie Psychologische Psychotherapeuten.

Goldberg ist außerdem einer der weniger Neurowissenschaftler, welcher sich Gedanken über die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Forschungsinstrumente macht und selbst eigene Interpretationen immer wieder kritisch hinterfragt. (siehe: http://www.neuropaedagogik.de/html/grenzen_.html)

Weitere Rezensionen:
Dr. Markus Fendt: hier

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